Bundesfinanzhof erklärt Zinssatz für Säumniszuschläge für zu hoch

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat kürzlich in einem bemerkenswerten Beschluss vom 22. September 2023, Aktenzeichen VIII B 64/22, festgestellt, dass nicht nur die Zinssätze für Steuernachzahlungen zu hoch sind, sondern dies auch für die Säumniszuschläge gilt. Diese Entscheidung könnte erhebliche Auswirkungen auf die finanzielle Belastung der Steuerzahler und Unternehmen haben.

Hintergrund

Die Frage der Höhe der Zinssätze für Steuernachzahlungen und Säumniszuschläge ist in der deutschen Steuerlandschaft seit langem ein umstrittenes Thema. Die Abgabenordnung (AO) schrieb bisher vor, dass für Steuernachzahlungen ein Zinssatz von 6 % pro Jahr gilt, Säumniszuschläge sind doppelt so hoch. Der BFH hat jedoch festgestellt, dass es ernsthafte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung gibt.

Verfassungswidrige Zinssätze

Die Entscheidung des BFH basiert auf einem früheren Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 8. Juli 2021. In diesem Urteil erklärte das BVerfG die Zinssätze für Verzinsungszeiträume ab dem 1. Januar 2014 als verfassungswidrig. Aufgrund einer Fortgeltungsanordnung gelten die 6 % Zinsen nicht mehr für Zeiträume ab dem 1. Januar 2019.

Ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit

Der BFH stützt seine Entscheidung auf die Tatsache, dass sowohl der VII. Senat des BFH als auch der V. Senat des BFH nach der Entscheidung des BVerfG ernsthafte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der festgelegten Höhe der Säumniszuschläge geäußert haben. Diese Zweifel entstehen insbesondere deswegen, weil die Säumniszuschläge nicht nur als Druckmittel zur Zahlung fälliger Steuern dienen, sondern auch als Gegenleistung oder Ausgleich für das Hinausschieben der Steuerzahlung, was als zinsähnliche Funktion bezeichnet wird.

Der BFH erklärt, dass der Umstand, dass Säumniszuschläge sowohl eine zinsähnliche Funktion als auch eine verhaltenslenkende Funktion haben, der Annahme ernstlicher Zweifel nicht entgegensteht. Dies hat zur Folge, dass die Vollziehung der streitgegenständlichen Säumniszuschläge in voller Höhe ausgesetzt werden muss, da keine Teilverfassungswidrigkeit in Bezug auf einen bestimmten Zweck der Norm vorliegt.

Berechtigtes Interesse an der Aussetzung der Vollziehung

Der BFH erklärt auch, dass die Antragsteller ein berechtigtes Interesse an der Aussetzung der Vollziehung haben. Er betont, dass es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Aussetzung die öffentliche Haushaltsführung negativ beeinflusst. Daher überwiegt das Interesse der Antragsteller an der Aussetzung der Vollziehung des Abrechnungsbescheids.

Kein Widerspruch zur Entscheidung des II. Senats des BFH

Die Entscheidung des BFH steht nicht im Widerspruch zu einer früheren Entscheidung des II. Senats des BFH vom 20. September 2022. In dieser Entscheidung wurde die Aussetzung der Vollziehung eines Abrechnungsbescheids über Säumniszuschläge zur Grunderwerbsteuer abgelehnt. Der II. Senat des BFH argumentierte damals, dass die Entscheidung des BVerfG hinsichtlich der Verfassungswidrigkeit von Zinsen nach § 233a AO auch auf Säumniszuschläge nach § 240 AO anwendbar ist. Der VIII. Senat des BFH sieht dies jedoch anders und kommt zu dem Schluss, dass die Rechtsfrage nicht abschließend geklärt ist.

Fazit

Die Entscheidung des BFH zur Höhe der Zinssätze für Steuernachzahlungen und Säumniszuschläge könnte weitreichende Folgen für Steuerzahler und Unternehmen haben. Sie schafft Rechtsunsicherheit und wirft die Frage auf, ob die derzeitigen Zinssätze verfassungsgemäß sind. Es bleibt abzuwarten, wie die deutsche Gesetzgebung und die Gerichte auf diese Entwicklung reagieren werden. In der Zwischenzeit sollten Steuerzahler und Unternehmen die rechtlichen Entwicklungen in diesem Bereich aufmerksam verfolgen und gegebenenfalls rechtlichen Rat einholen.

Verzinsung von Steuernachzahlungen

Wenn man seine Steuererklärung abgibt und eine Nachzahlung dabei herauskommt, so muss man unter Umständen Zinsen auf die Nachzahlung leisten. Doch wann darf das Finanzamt Zinsen berechnen?

Grundlegendes

Die Verzinsung von Steuernachzahlungen beschränkt sich auf die Einkommensteuer, Gewerbesteuer, Körperschaftsteuer und die Umsatzsteuer. Eine Verzinsung bei anderen Steuerarten, beispielsweise der Erbschaftsteuer oder der Grunderwerbsteuer, ist gesetzlich nicht vorgesehen. Mit der Verzinsung von Steuernachzahlungen möchte der Gesetzgeber einen Zinsvorteil abschöpfen, der entsteht, wenn man seine Steuererklärung zu einem späten Zeitpunkt abgibt.

Beginn der Verzinsung

Eins vorweg: Nicht jede Steuernachzahlung wird verzinst. Denn der Zinslauf beginnt erst 15 Monate nach Ablauf eines Jahres. Für die Steuererklärung 2018 müssen Sie erst dann Zinsen zahlen, wenn der Steuerbescheid nach dem 1. April 2020 vom Finanzamt kommt. Aufgrund von Corona bekommen Sie für die Jahre 2019 und 2020 noch eine zusätzliche Schonfrist. Für 2019 ist der 1. Oktober 2021 maßgebend. Für 2020 der 1. Juli 2022.

Zinsberechnung

Das Finanzamt berechnet die Zinsen auf die Steuernachzahlung. Der Zinssatz beträgt 0,5 % pro vollem Monat. Das entspricht einem jährlichen Zinssatz von 6 %.

 Beispiel: Zinsberechnung 2018

Datum des Steuerbescheids Nachzahlung 1.000 Euro Nachzahlung 10.000 Euro
30. April 2020 5 Euro 50 Euro
30. April 2021 65 Euro 650 Euro

Wie Sie an dem Beispiel sehen, können die Zinsen unter Umständen ziemlich hoch ausfallen. Wenn Sie Ihre Steuererklärung pünktlich einreichen, dann können Sie unnötige Nachzahlungszinsen vermeiden.

Praxistipp

Sollten Sie wider Erwarten doch spät dran sein, dann können Sie bereits vorab einen Betrag an Ihr Finanzamt überweisen. Vorausgesetzt Sie wissen, wie hoch die Nachzahlung ausfallen wird. Damit können Sie eine etwaige Zinsfestsetzung im Vorfeld umgehen.

Aktuelles

In Zeiten der Niedrigzinspolitik dürfte klar werden, dass der gesetzlich festgelegte Zinssatz von 6 % pro Jahr nicht dem entspricht, was der durchschnittliche Bürger an Zinsen erzielen kann, wenn er seine Steuererklärung spät abgibt. Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht in einem kürzlich veröffentlichten Urteil erkannt.

Ab dem Verzinsungszeitraum 2014 ist nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts die gesetzliche Regelung verfassungswidrig. Allerdings bleibt es bis zum Jahre 2018 bei der Höhe des Zinssatzes von 6 %. Erst ab dem Verzinsungszeitraum 2019 muss der Gesetzgeber eine Neuregelung bis zum 31. Juli 2022 schaffen. Es bleibt daher abzuwarten, wie hoch der Zinssatz zukünftig sein wird.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss des Ersten Senats vom 8. Juli 2021, 1 BvR 2237/14

Besser 634 Euro nehmen als 1.080 Euro

Es war einmal ein Mann, der war privat krankenversichert. Er war einigermaßen gesund, und so hatte er im Jahr 2013 nur 634 Euro an Ärzte gezahlt. Er schaute in seinen Versicherungsvertrag, und dort stand: Wenn er keine Arztrechnungen beim Versicherer einreicht, bekommen er und seine Ehefrau 1.080 Euro Beiträge erstattet.

Ein gutes Geschäft, dachte sich der Mann. Immerhin sind 1.080 Euro mehr als 634 Euro, und die Mühe, die Unterlagen zusammenzustellen und zu übersenden, konnte er sich auch sparen. Der Versicherer zahlte also 1.080 Euro aus.

Doch sie hatten die Rechnung ohne das Finanzamt gemacht. Das Finanzamt setzte auf die 1.080 Euro Beitragserstattung Einkommensteuer fest. So blieben nur 602 Euro übrig. Die 634 Euro Kostenerstattung für Arztrechnungen wären hingegen steuerfrei gewesen.

Entscheidung des Bundesfinanzhofs

Der Bundesfinanzhof gab dem Finanzamt recht. Die Beitragserstattung führt dazu, dass der Beitrag zur Krankenversicherung im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG sich per Saldo verringert. Es kann also weniger Beitrag als Sonderausgabe abgezogen werden. Die selbst getragenen Arztkosten hingegen kann der Steuerpflichtige nicht geltend machen, weder als Sonderausgaben noch als außergewöhnliche Belastungen.

Gesetzlich so geregelt

Steuern in einer Größenordnung von 40 oder 50 Prozent sind alltäglich. Steuern in einer Größenordnung von 80 oder 90 Prozent kommen seltener vor. Kaum nachvollziehbar ist es aber, wenn der Steuersatz 100 Prozent übersteigt, also aus einem „Mehr“ vor Steuern ein „Weniger“ nach Steuern wird. Auch volkswirtschaftlich ist es sinnlos, einen Sachbearbeiter bei der Versicherung nur aus steuerlichen Gründen mit der Bearbeitung eines Erstattungsantrags zu beschäftigen, wenn beide Vertragsparteien mit der pauschalierten Beitragserstattung zufrieden wären.

Der Bundesfinanzhof erkennt immerhin an, dass

„[…] es wirtschaftlich vernünftig sein kann, auf die Erstattung der gezahlten Krankheitskosten zu verzichten, um so eine betragsmäßig höhere Beitragserstattung zu erlangen. Es ist aber“,

so der BFH weiter,

„nicht Aufgabe des Steuerrechts dafür zu sorgen, dass dieser Vorteil auch nach Durchführung der Besteuerung erhalten bleibt […]“, dass also wirtschaftlich vernünftige Entscheidungen auch nach Durchführung der Besteuerung wirtschaftlich vernünftig bleiben.

Wir haben ein anderes Verständnis von den Aufgaben des Steuerrechts.

BFH, Urteil vom 29. November 2017, X R 3/16

Nachzahlungszinsen: Es kommt auf jeden Tag an

Die Abgabenordnung regelt, dass Steuernachzahlungen verzinst werden. Beispiel Einkommensteuer: Wer die Steuererklärung für 2016 durch einen Steuerberater erstellen lässt, muss dafür sorgen, dass sie spätestens am 31. Dezember 2017 beim Finanzamt eingeht. Das Finanzamt benötigt im Regelfall etwa drei Monate für die Bearbeitung. Darauf ist die gesetzliche Verzinsung abgestimmt: Am 1. April 2018 beginnt der Zinslauf. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Finanzamt im Einzelfall länger oder kürzer für die Bearbeitung der Steuererklärung braucht.

Zinssatz

Die Nachzahlungszinsen belaufen sich auf 6 % jährlich. Allerdings rundet das Finanzamt die Nachzahlungsbetrag auf volle 50 Euro und den Zinslauf auf volle Monate ab. Das führt zu groben Stufen in der Höhe der Zinsen: Ein Steuerbescheid vom 24. April 2018 enthält noch keine Zinsberechnung, weil der angefangene Monat auf Null abgerundet wird. Bei einem Steuerbescheid vom Folgetag unterstellt die Finanzverwaltung allerdings, dass dieser wegen der Postlaufzeit erst am 30. April beim Empfänger ankommt, und berechnet für den ganzen Monat April Zinsen. Die nächste Stufe – Zinsen für zwei volle Monate – wird am 28. Mai 2018 erreicht.

Freiwillige Steuerzahlungen

Wer mit einer Steuernachzahlung rechnet, kann diese freiwillig an das Finanzamt leisten, wenn das Finanzamt die Steuererklärung nicht rechtzeitig bearbeitet. Das lohnt sich, wenn die Nachzahlung sonst verzinst würde: Mehr als 6 % p.a. wird man bei keiner anderen Geldanlage erhalten. Unter Umständen kann es sich sogar lohnen, die Nachzahlung durch einen teuren Kredit zu finanzieren: Wer die Kreditzinsen von der Steuer absetzen kann, zahlt selbst bei 10 % Bankzinsen effektiv weniger als wenn das Finanzamt 6 % Nachzahlungszinsen zur Einkommensteuer, Gewerbesteuer oder Körperschaftsteuer verlangt.

Eine freiwillige Zahlung vor dem 1. April (Beginn des Zinslaufs) kann das Finanzamt genauso behandeln wie eine vom Finanzamt angeforderte Vorauszahlung. Das führt dann dazu, dass Nachzahlungszinsen gar nicht erst entstehen. Wenn das Finanzamt solch eine freiwillige Zahlung nicht als Vorauszahlung behandelt oder wenn die freiwillige Zahlung erst nach dem Beginn des Zinslaufs erfolgt, werden zwar Nachzahlungszinsen festgesetzt, aber gleich wieder erlassen. Dort wird allerdings zugunsten des Finanzamtes auf volle Monate gerundet:

Der Steuerpflichtige zahlt am 2. April 2018 die erwartete Nachzahlung auf die Einkommensteuer 2016. Das Finanzamt verschickt den entsprechenden Bescheid am 25. April 2018 (unterstellte Postlaufzeit: drei Tage plus Wochenende, also Eingang am 30. April 2018). Der Bescheid enthält einen vollen Monat Nachzahlungszinsen für den 1. bis 30. April 2018. Erlassen werden nur Zinsen für den 2. bis 30. April, abgerundet: null volle Monate. Hier hat die freiwillige Zahlung dem Steuerpflichtigen keinerlei Zinsvorteil gebracht. Wenn er nicht freiwillig gezahlt hätte, hätte er sich mit der Nachzahlung sogar noch einen weiteren Monat Zeit lassen können, bis zum 30. Mai 2018.

Nach Betriebsprüfungen

Häufig ist die freiwillige Zahlung sinnvoll, wenn eine Betriebsprüfung zwar abgeschlossen ist, aber die Akten sich in der Finanzverwaltung noch auf dem Weg von der Abteilung „Betriebsprüfung“ in die Abteilung „Steuerveranlagung“ befinden. Dieser Vorgang kann nämlich Monate dauern, während die Zinsen schon laufen. Auch in solchen Fällen muss das Finanzamt Nachzahlungszinsen für volle Monate, die zwischen freiwilliger Zahlung und Wirksamkeit der Steuerfestsetzung liegen, erlassen. Hier hat der Bundesfinanzhof in einem aktuellen Fall entschieden: Als voller Monat gilt es bereits, wenn die Zahlung im Laufe des 30. beim Finanzamt eingeht und der Steuerbescheid am 29. des Folgemonats wirksam wird. Denn nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs wird der Zahlungstag in diesem Fall schon als voller Tag gerechnet.

Erstattungszinsen

Umgekehrt ist es bei Steuererstattungen so, dass diese ab Beginn des Zinslaufs zugunsten des Steuerpflichtigen verzinst werden. Der Zinssatz beläuft sich auch hier auf 6 % jährlich, bei gleichen Rundungsregeln für Höhe und Dauer. Wenn kein Verspätungszuschlag und keine Verjährung zu befürchten sind, kann es eine günstige Geldanlage sein, eine Steuererklärung erst spät abzugeben und sich bei erwarteten Steuererstattungen in Geduld zu üben.

BFH, Urteil vom 31. Mai 2017, I R 92/15

Einspruchsfrist auf ein Jahr verlängert

Der fünfte Senat des Finanzgerichts Schleswig-Holstein hat einen Einspruch für zulässig erklärt, obwohl dieser später als einen Monat nach Bekanntgabe des Steuerbescheids eingelegt wurde.

Im Bescheid hieß es:

Dieser Bescheid kann mit dem Einspruch angefochten werden. Der Einspruch ist bei der vorbezeichneten Familienkasse schriftlich einzureichen oder zur Niederschrift zu erklären. […]

Das Finanzgericht hat entschieden, dass solch eine Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig im Sinne des § 356 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) ist, weil sie – entgegen dem Wortlaut des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO – nicht auf die Möglichkeit der elektronischen Einreichung des Einspruchs hinweist. Die Einspruchsfrist betrage dann ein Jahr. Der im Streitfall von der Behörde gewählte Text der Rechtsbehelfsbelehrung gab den Wortlaut des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO nur unvollständig wieder, weil auf die Möglichkeit der elektronischen Einreichung nicht hingewiesen wurde.

Nach § 355 Abs. 1 Satz 1 AO beträgt die Einspruchsfrist einen Monat nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes. Ist die Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder unrichtig erteilt worden, verlängert sie sich auf ein Jahr. Unrichtig im Sinne des § 356 Abs. 2 Satz 1 AO sei eine Rechtsbehelfsbelehrung, wenn sie geeignet sei, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen. Das Finanzgericht hatte über die Anforderungen an die Wiedergabe der in § 357 Abs. 1 Satz 1 AO genannten Möglichkeiten zur Einlegung eines Einspruchs zu entscheiden, bewertete die E-Mail als ein zunehmend anerkanntes Kommunikationsmittel und führte aus, dass es in Zeiten zunehmenden E-Mail-Verkehrs widersprüchlich und schwer nachvollziehbar erscheine, einerseits die Erhebung des Einspruchs durch E-Mail zuzulassen, andererseits aber auf diese Möglichkeit in der Rechtsbehelfsbelehrung nicht hinweisen zu müssen.

Revision möglich

Die Finanzbehörde kann Revision gegen die Entscheidung einlegen.

Die Entscheidung des Finanzgerichts bezieht sich auf § 357 Abs. 1 AO in der seit dem 1. August 2013 geltenden Fassung. Zu der bis Juli 2013 geltenden Gesetzesfassung hat der Bundesfinanzhof bereits entschieden, dass ein Hinweis auf die Erhebung des Einspruchs durch E-Mail nicht erforderlich sei.

Auswirkungen

Die meisten Steuerbescheide werden im Rechenzentrum der Finanzverwaltung gedruckt und enthalten seit einiger Zeit eine korrekte Rechtsbehelfsbelehrung. Viele Bescheide, die eine Finanzbeamter „in Handarbeit“ anfertigt, beruhen aber noch auf alten Vorlagen. Zinsbescheide, Bescheide über die Ablehnung eines Antrags und andere ungewöhnliche Steuerbescheide enthalten häufig noch fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrungen, so dass eine verlängerte Einspruchsfrist gilt.

Auch Einspruchsentscheidungen müssen eine Rechtsbehelfsbelehrung enthalten. Hier sind die Voraussetzungen etwas anders, weil nicht die Abgabenordnung, sondern die Finanzgerichtsordnung die maßgebenden Regelungen enthält. Aber auch bei Einspruchsentscheidungen kann die Frist sich bei unzutreffender oder fehlender Rechtsbehelfsbelehrung auf ein ganzes Jahr verlängern.

Warnung

Für Einsprüche gegen Steuerbescheide genügt eine einfache E-Mail. In zahlreichen anderen Rechtsgebieten sehen die Verfahrensordnungen aber strengere Formvorschriften vor. Wenn möglich, beachten Sie die Form und Frist, die in der Rechtsbehelfsbelehrung empfohlen wird!

FG Schleswig-Holstein, Urteil vom 21. Juni 2017, 5 K 7/16
Bundesfinanzhof, Urteil vom 5. März 2014, VIII R 51/12

Paragraphenreiter vergaloppiert sich

Wer einen Steuerberater beauftragt und dem Finanzamt eine Einzugsermächtigung erteilt, braucht sich um keine steuerliche Frist mehr selbst zu kümmern. Besser noch: Wenn der Steuerberater dem Finanzamt eine Vollmacht vorlegt, darf das Finanzamt den Steuerpflichtigen nicht mehr mit Post belästigen, sondern muss sich an den Steuerberater wenden. So jedenfalls der Grundsatz (§ 122 Abs. 1 Satz 4 der Abgabenordnung und Abschnitt 69 Abs. 4 des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung).

Fehler im Finanzamt

Leider passiert es immer wieder mal, dass der Sachbearbeiter im Finanzamt eine Vollmacht übersieht. Automatisiert erlassene Steuerbescheide sind meist richtig adressiert, aber fehleranfällig sind alle Vorgänge, bei denen „Handarbeit“ nötig ist. So beispielsweise Schätzungsbescheide, die das Finanzamt erlässt, wenn vom Steuerpflichtigen keine Steuererklärung eingeht. In einem Fall hat ein Finanzbeamter in Baden-Württemberg am 29. Dezember 2009 einen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2003 erlassen und an den Steuerpflichtigen übersandt. Der Empfänger hatte aber einen Steuerberater bevollmächtigt und durfte sich darauf verlassen, dass der alles erfährt und sich um alles kümmert. Er ignorierte also den Bescheid.

Schätzung völlig verkehrt

Zwei Jahre später stellte das Finanzamt unter Beteiligung des Steuerberaters fest, dass die Schätzung der Einkünfte völlig verkehrt war. Tatsächlich hatte der Steuerpflichtige im Jahr 2003 einen Verlust erlitten, der mit Einkünften der Folgejahre zu verrechnen war. Das Finanzamt erließ im September 2011 einen neuen Bescheid und stellte zumindest einen Teil der Verluste förmlich fest. Den neuen Bescheid adressierte es zutreffend an den Steuerberater.

Einspruchsverfahren

Der Steuerberater legte Einspruch gegen die „zu niedrige“ Verlustfeststellung ein. Daraufhin widmete sich ein Paragraphenreiter in der Rechtsbehelfsstelle des Finanzamts der Akte. Er wies den Einspruch zurück, ohne sich inhaltlich mit den Verlusten zu beschäftigen. Seine Argumente: Der Bescheid vom 29. Dezember 2009 sei falsch adressiert gewesen, und der Bescheid aus September 2011 sei nach Ablauf der Verjährungsfrist ergangen, also seien beide unwirksam. Die Verluste seien nicht höher und nicht niedriger festzustellen, sondern gar nicht mehr. Er hob den Verlustfeststellungsbescheid auf.

Klage erfolgreich

Das Klageverfahren war in letzter Instanz erfolgreich. Der Bescheid vom 29. Dezember 2009 war zwar falsch adressiert, hat aber den richtigen Adressaten – den Steuerberater – doch irgendwann erreicht. Das genügt, um den Eintritt der Verjährung zu verhindern. Der Bundesfinanzhof stellt fest, dass die Versuche des Finanzamtes, sich mit Überlegungen zum „Zustellwillen“ und anderen formalen Verrenkungen ins Recht zu setzen, in einem Rechtsstaat fehlplatziert sind:

„Letztlich wäre die behauptete Aufgabe des Zustellwillens auch aus rechtlichen Gründen unbeachtlich (unzulässige Rechtsausübung). Das Finanzamt hat einen nachvollziehbaren Grund für die angebliche Aufgabe des Zustellwillens nicht dargetan. Das denkbare Ziel, die Feststellung von Verlusten zu verhindern, wäre jedenfalls mit dem gesetzlichen Auftrag, die Steuern gleichmäßig festzustellen, nicht vereinbar.“

Ergebnis

Die Verjährung wirkt in beide Richtungen, zugunsten wie zulasten des Finanzamtes, und umgekehrt zugunsten wie zulasten des Steuerpflichtigen. Wenn das Finanzamt eine Maßnahme ergriffen hat, um den bevorstehenden Eintritt der Verjährung zu verhindern, ist es daran gebunden, auch wenn es später bemerkt, dass bei diesem Steuerpflichtigen nicht so viel zu holen ist wie geplant.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 11. April 2017, IX R 50/15

Gesetz überfordert den Gesetzgeber selbst

ReichstagsgebäudeDas Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat den Deutschen Bundestag verurteilt, Sozialversicherungsbeiträge für einen Beschäftigten abzuführen.

Ausgangslage

Wer in Deutschland als Arbeitgeber eine Person in einem Beschäftigungsverhältnis anstellt, muss Beiträge zur Sozialversicherung abführen. Wer hingegen einen Selbstständigen mit einer bestimmten Arbeit beauftragt, darf sich darauf verlassen, dass der Selbstständige sich eigenverantwortlich um seine Sozialversicherung kümmert. Was eine Arbeit zu einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis macht, ist gesetzlich nur rudimentär definiert (§ 7 SGB IV):

Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.

Konturen unscharf

Ob eine bestimmte Arbeit als Beschäftigungsverhältnis gilt, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Mangels konkreter Vorgaben des Gesetzgebers behilft die Rechtsprechung sich damit, jeden Einzelfall einer Gesamtwürdigung zu unterziehen und einzuordnen: Ist die Tätigkeit so sehr weisungsgebunden, dass eine „Tätigkeit nach Weisungen“ im Sinne des Gesetzes vorliegt? Ist die Person in der Entscheidung über Zeit, Dauer, Ort sowie Art der Ausführung der Arbeit so sehr fremdbestimmt, dass sie in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers „eingegliedert“ ist?

Statusfeststellungsverfahren

Immerhin bieten die Sozialversicherungsträger ein Verfahren an, um frühzeitig Rechtssicherheit zu erlangen. Bei Tätigkeiten in einem Graubereich zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbstständigkeit kann in einem Statusfeststellungsverfahren verbindlich geklärt werden, ob der Arbeitgeber die Tätigkeit als sozialversicherungspflichtig behandeln muss.

Öffentlichkeitsarbeit und Besucherdienst des Bundestages

Für einen Mitarbeiter des Bundestages, der mit Öffentlichkeitsarbeit und Besucherdienst befasst war, hatte die Sozialgerichtsbarkeit die Frage nach dem Beschäftigungsverhältnis zu behandeln. Das Sozialgericht entschied, dass die Tätigkeit eine selbstständige Tätigkeit darstelle. Dabei bezog das Gericht unter anderem den Aspekt der Kleiderordnung ein: Dass der Mitarbeiter keine Dienstkleidung gestellt bekam, sondern nur ein Namensschild, und dass er seine Arbeitskleidung nach Vorgaben des Bundestages selbst kaufen musste, wertet das Sozialgericht kurioserweise als Argument für die Selbstständigkeit.

Gegen die Entscheidung des Sozialgerichts legten der Beschäftigte und die Deutsche Rentenversicherung Rechtsmittel ein. Das Landessozialgericht würdigte die Fakten graduell anders und entschied entgegen der Vorinstanz, dass die Tätigkeit eine abhängige Beschäftigung darstellt.

Gesetzliche Vorgaben unzureichend

Wie kommt es, dass die beteiligten staatliche Stellen – Bundestagsverwaltung, Deutsche Rentenversicherung, Sozialgericht und Landessozialgericht – in einem relativ gewöhnlichen Fall zu so widersprüchlichen Ergebnissen gelangen? Die Statusentscheidung „selbstständig“ oder „abhängig beschäftigt“ ist von existenzieller Bedeutung für den Mitarbeiter. Für den Arbeitgeber geht es zwar nicht um die Existenz, aber immerhin um enorm viel Geld. In einem so bedeutsamen Bereich müsste der Deutsche Bundestag als Gesetzgeber eigentlich klare, leicht und eindeutig anwendbare Vorgaben machen. Schwammige Kriterien richtig anzuwenden, überfordert jeden Arbeitgeber – auch die Bundestagsverwaltung.

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 7. Juli 2017, L 1 KR 41/14

Fehler durch veraltete Gesetze

Brieföffner mit Kuvert und Hand
Öffnen eines Briefes“ von Frank C. Müller on Wikimedia Commons steht unter der Lizenz CC-BY-SA 2.5

Eine GmbH wurde im Jahr 2011 umstrukturiert. Nach Aufstellung des Jahresabschlusses gab der Steuerberater eine Steuererklärung für dieses Jahr ab. Verluste aus den Vorjahren verrechnete er wegen der Umstrukturierung nur zu einem Teil mit dem Gewinn des Jahres 2011, nicht vollständig. Das Finanzamt folgte der Steuererklärung, unterwarf den Gewinn der Körperschaftsteuer und verschickte den Steuerbescheid am 28. Dezember 2012 an den Steuerberater.

Fehler: Gesetzesfassung 2008 angewandt

Der Steuerbescheid wäre richtig gewesen, wenn die Umstrukturierung schon 2008 erfolgt wäre. Seit 2009 gilt aber: Steuerliche Verlustvorträge überstehen eine Umstrukturierung jedenfalls dann, wenn – wie hier – stille Reserven in der GmbH schlummern (§ 8c Abs. 1 Satz 6 KStG). Der Gewinn des Jahres 2011 hätte in voller Höhe mit Verlusten der Vorjahre verrechnet werden dürfen.

Einspruch verspätet

Dieser Fehler fiel erst ein Jahr später auf. Im Januar 2014 beantragte der Steuerberater, den Steuerbescheid zu ändern. Für einen Einspruch war es allerdings schon zu spät. Dieser hätte innerhalb eines Monats beim Finanzamt eingehen müssen.

Bescheid nichtig?

Die GmbH berief sich im anschließenden Klageverfahren darauf, dass der Bescheid so grob fehlerhaft sei, dass er von vornherein keine Rechtswirkung hätte entfalten können (Nichtigkeit). Ein Steuerbescheid ist gemäß § 125 der Abgabenordnung nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Beispielhaft nennt das Gesetz einen Steuerbescheid, der „die erlassende Finanzbehörde nicht erkennen lässt“. So hat etwa die Finanzverwaltung in Bremen nach der Zusammenlegung der Finanzämter Bremen-West und Bremen-Ost im Februar 2013 versehentlich Schreiben mit dem Briefkopf „Finanzamt Bremen-Muster“ verschickt.

Inhaltliche Fehler führen hingegen nur in besonders krassen Ausnahmefällen zur Nichtigkeit. Anerkannt ist, dass ein Steuerbescheid nichtig ist, wenn sein Inhalt „objektiv willkürlich“ ist, also „unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht.“ Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine hoheitliche Entscheidung jedoch nicht willkürlich. Willkür liegt vielmehr erst dann vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt, der Inhalt einer Norm in krasser Weise missverstanden oder sonst in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewendet wird (vgl. Bundesverfassungsgericht, BVerfGE 89, S. 1, 13 f.; BVerfGE 96, S. 189, 203).

Hier: „Nur“ ein struktureller Rechtsanwendungsfehler

Das Finanzamt entschuldigte sich für die falsche Rechtsanwendung mit dem Hinweis, dass der zuständigen Sachbearbeiterin nur eine Gesetzessammlung mit der für den Veranlagungszeitraum 2008 anzuwendenden Fassung des Körperschaftsteuergesetzes zur Verfügung gestanden habe. Das hält der Bundesfinanzhof für einen Rechtsanwendungsfehler, der einen Steuerbescheid zwar fehlerhaft macht, aber nicht nichtig. Dagegen hätte rechtzeitig Einspruch eingelegt werden müssen.

Offene Frage: Welche Gesetzessammlung nutzt der Steuerberater?

An der Entscheidung verwundert, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass der fehlerhafte Steuerbescheid erlassen wurde. Offenbar hat nicht nur das Finanzamt, sondern auch der Steuerberater bei der Vorbereitung der Steuererklärung übersehen, dass die seit 2009 geltende Neuregelung im Körperschaftsteuergesetz eine geringere Steuerlast für die GmbH begründet.

BFH, Beschluss vom 31. Mai 2017, I B 102/16

Betriebsvermögen oder Privatvermögen?

DAXUnternehmer müssen entscheiden, ob sie einen gemischt nutzbaren Gegenstand im Betriebsvermögen oder im Privatvermögen halten. Besonders praxisrelevant ist das bei Kraftfahrzeugen, mit denen Privatfahrten, Geschäftsreisen und der tägliche Weg zur Arbeit zurückgelegt werden.

Bei Wertpapieren und bei manchen Immobilien ist weniger offensichtlich, ob die tatsächliche Nutzung für einen unternehmerischen oder einen nicht-unternehmerischen Zweck erfolgt. Hier kommt es auch darauf an, welche Nutzungen möglich sind und beabsichtigt werden. Gerade dann, wenn Wertschwankungen zu erwarten sind, kann die Entscheidung für Betriebsvermögen oder für Privatvermögen große steuerliche Auswirkungen haben. Grundsatz ist: Wertänderungen im Betriebsvermögen werden steuerlich nahezu immer berücksichtigt, Wertänderungen im Privatvermögen nur unter bestimmten Umständen. Steuerlich günstig ist es also, Gegenstände mit Wertsteigerungspotential im Privatvermögen zu halten, Gegenstände mit Verlustrisiko im Betriebsvermögen.

Diese Rechtslage lädt zur Steuergestaltung ein. Um den Gestaltungsspielraum der Steuerpflichtigen nicht ausufern zu lassen, muss die Zuordnung zum Betriebsvermögen oder zum Privatvermögen zeitnah dokumentiert werden, und erst recht ein Wechsel vom Betriebsvermögen ins Privatvermögen („Entnahme“) oder umgekehrt („Einlage“). Einen Gegenstand nachträglich (rückwirkend) zuzuordnen, um Verluste steuerlich geltend zu machen oder Gewinne der Besteuerung zu entziehen, wird nicht anerkannt.

Der Bundesfinanzhof hat mit Urteil vom 29. September 2016 konturiert, wie klar und eindeutig die Dokumentation sein muss. Zu entscheiden hatte er in einem Fall, in dem der Steuerpflichtige Wertpapiere aus seinem Betriebsvermögen ins Privatvermögen entnommen haben wollte. Über die bisher anerkannten Anforderungen hinaus verlangt der Bundesfinanzhof, dass der Steuerpflichtige „die naheliegenden steuerlichen Folgerungen aus der Entnahme“ zieht – und zwar vollständig. Im entschiedenen Fall genügte es nicht, dass der Steuerpflichtige dem Finanzamt mitgeteilt hat, dass er die Dividenden aus den Wertpapieren künftig als Einkünfte aus Kapitalvermögen (Privatvermögen) versteuere. Zusätzlich hätte er auch in seinem Betriebsvermögen die Entnahme richtig buchen müssen.

BFH, Urteil vom 29. September 2016, Aktenzeichen III R 42/13 mit Anmerkung Kleinmanns, BB 2017, 1266

Vorzeitige Anforderung einer Steuererklärung ohne Begründung

Wenn man eine Steuererklärung verspätet abgibt, kann das Finanzamt einen Verspätungszuschlag festsetzen. Aber was ist „verspätet“? Dazu hat der Bundesfinanzhof sich geäußert.
Steuerbescheid

Grundregel: 31. Mai / 31. Dezember des Folgejahres

Der Gesetzgeber sieht vor, dass die Einkommensteuererklärung und andere jährlich wiederkehrende Steuererklärungen bis zum 31. Mai des Folgejahres abgegeben werden müssen. Für Steuerpflichtige, die sich durch einen Steuerberater vertreten lassen, wird diese Frist bis zum 31. Dezember verlängert. Das ergibt Sinn, denn sonst würde der Steuerberater bis März oder April auf die Unterlagen von Kreditinstituten und Krankenkassen warten, im Mai alle Steuererklärungen gleichzeitig anfertigen und hätte von Juni bis Dezember nichts zu tun.

Vorzeitige Anforderung

Gelegentlich kommt Post vom Finanzamt: Im „Interesse einer ordnungsgemäßen Durchführung des Besteuerungsverfahrens“ oder zur „gleichmäßigen Auslastung“ der Finanzbeamten wird die Steuererklärung vorzeitig angefordert. Nicht zum 31. Dezember, sondern typischerweise schon im Juli, August oder September. Dabei handelt es sich um eine vorzeitige Anforderung, die im Ermessen des Finanzamtes steht. Ermessen bedeutet: Das Finanzamt hat einen Entscheidungsspielraum, muss aber „ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens“ einhalten (§ 5 der Abgabenordnung).

Ein Textbaustein ist keine Begründung

Ob das Finanzamt sich an diesen Rahmen hält, kann nur beurteilt werden, wenn es eine Begründung für die vorzeitige Anforderung gibt. Der Bundesfinanzhof hat festgestellt, dass jedenfalls der Textbaustein „Interesse einer ordnungsgemäßen Durchführung des Besteuerungsverfahrens“ keine brauchbare Begründung ist. Das Finanzamt darf in diesem Fall keinen Verspätungszuschlag festsetzen, wenn man den Termin im Juli, August oder September ignoriert. Wichtig ist nur, dass die Steuererklärung rechtzeitig vor dem 31. Dezember eingeht.

Neue Rechtslage ab 2018

Für die Steuererklärungen ab 2018 hat der Gesetzgeber die Rechtslage geändert. Er gewährt grundsätzlich zwei Monate mehr Zeit für die Steuererklärungen. Die Steuererklärungen für 2018 brauchen erst zum 31. Juli 2019 bzw. 2. März 2020 (der 29. Februar 2020 ist ein Samstag) eingereicht zu werden, im Gegenzug werden die Finanzämter häufiger als bisher Verspätungszuschläge festsetzen dürfen.

BFH, Urteil vom 17. Januar 2017, Aktenzeichen VIII R 52/14