Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat den Deutschen Bundestag verurteilt, Sozialversicherungsbeiträge für einen Beschäftigten abzuführen.
Ausgangslage
Wer in Deutschland als Arbeitgeber eine Person in einem Beschäftigungsverhältnis anstellt, muss Beiträge zur Sozialversicherung abführen. Wer hingegen einen Selbstständigen mit einer bestimmten Arbeit beauftragt, darf sich darauf verlassen, dass der Selbstständige sich eigenverantwortlich um seine Sozialversicherung kümmert. Was eine Arbeit zu einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis macht, ist gesetzlich nur rudimentär definiert (§ 7 SGB IV):
Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.
Konturen unscharf
Ob eine bestimmte Arbeit als Beschäftigungsverhältnis gilt, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Mangels konkreter Vorgaben des Gesetzgebers behilft die Rechtsprechung sich damit, jeden Einzelfall einer Gesamtwürdigung zu unterziehen und einzuordnen: Ist die Tätigkeit so sehr weisungsgebunden, dass eine „Tätigkeit nach Weisungen“ im Sinne des Gesetzes vorliegt? Ist die Person in der Entscheidung über Zeit, Dauer, Ort sowie Art der Ausführung der Arbeit so sehr fremdbestimmt, dass sie in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers „eingegliedert“ ist?
Statusfeststellungsverfahren
Immerhin bieten die Sozialversicherungsträger ein Verfahren an, um frühzeitig Rechtssicherheit zu erlangen. Bei Tätigkeiten in einem Graubereich zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbstständigkeit kann in einem Statusfeststellungsverfahren verbindlich geklärt werden, ob der Arbeitgeber die Tätigkeit als sozialversicherungspflichtig behandeln muss.
Öffentlichkeitsarbeit und Besucherdienst des Bundestages
Für einen Mitarbeiter des Bundestages, der mit Öffentlichkeitsarbeit und Besucherdienst befasst war, hatte die Sozialgerichtsbarkeit die Frage nach dem Beschäftigungsverhältnis zu behandeln. Das Sozialgericht entschied, dass die Tätigkeit eine selbstständige Tätigkeit darstelle. Dabei bezog das Gericht unter anderem den Aspekt der Kleiderordnung ein: Dass der Mitarbeiter keine Dienstkleidung gestellt bekam, sondern nur ein Namensschild, und dass er seine Arbeitskleidung nach Vorgaben des Bundestages selbst kaufen musste, wertet das Sozialgericht kurioserweise als Argument für die Selbstständigkeit.
Gegen die Entscheidung des Sozialgerichts legten der Beschäftigte und die Deutsche Rentenversicherung Rechtsmittel ein. Das Landessozialgericht würdigte die Fakten graduell anders und entschied entgegen der Vorinstanz, dass die Tätigkeit eine abhängige Beschäftigung darstellt.
Gesetzliche Vorgaben unzureichend
Wie kommt es, dass die beteiligten staatliche Stellen – Bundestagsverwaltung, Deutsche Rentenversicherung, Sozialgericht und Landessozialgericht – in einem relativ gewöhnlichen Fall zu so widersprüchlichen Ergebnissen gelangen? Die Statusentscheidung „selbstständig“ oder „abhängig beschäftigt“ ist von existenzieller Bedeutung für den Mitarbeiter. Für den Arbeitgeber geht es zwar nicht um die Existenz, aber immerhin um enorm viel Geld. In einem so bedeutsamen Bereich müsste der Deutsche Bundestag als Gesetzgeber eigentlich klare, leicht und eindeutig anwendbare Vorgaben machen. Schwammige Kriterien richtig anzuwenden, überfordert jeden Arbeitgeber – auch die Bundestagsverwaltung.
→ Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 7. Juli 2017, L 1 KR 41/14