Nachzahlungszinsen: Es kommt auf jeden Tag an

Die Abgabenordnung regelt, dass Steuernachzahlungen verzinst werden. Beispiel Einkommensteuer: Wer die Steuererklärung für 2016 durch einen Steuerberater erstellen lässt, muss dafür sorgen, dass sie spätestens am 31. Dezember 2017 beim Finanzamt eingeht. Das Finanzamt benötigt im Regelfall etwa drei Monate für die Bearbeitung. Darauf ist die gesetzliche Verzinsung abgestimmt: Am 1. April 2018 beginnt der Zinslauf. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Finanzamt im Einzelfall länger oder kürzer für die Bearbeitung der Steuererklärung braucht.

Zinssatz

Die Nachzahlungszinsen belaufen sich auf 6 % jährlich. Allerdings rundet das Finanzamt die Nachzahlungsbetrag auf volle 50 Euro und den Zinslauf auf volle Monate ab. Das führt zu groben Stufen in der Höhe der Zinsen: Ein Steuerbescheid vom 24. April 2018 enthält noch keine Zinsberechnung, weil der angefangene Monat auf Null abgerundet wird. Bei einem Steuerbescheid vom Folgetag unterstellt die Finanzverwaltung allerdings, dass dieser wegen der Postlaufzeit erst am 30. April beim Empfänger ankommt, und berechnet für den ganzen Monat April Zinsen. Die nächste Stufe – Zinsen für zwei volle Monate – wird am 28. Mai 2018 erreicht.

Freiwillige Steuerzahlungen

Wer mit einer Steuernachzahlung rechnet, kann diese freiwillig an das Finanzamt leisten, wenn das Finanzamt die Steuererklärung nicht rechtzeitig bearbeitet. Das lohnt sich, wenn die Nachzahlung sonst verzinst würde: Mehr als 6 % p.a. wird man bei keiner anderen Geldanlage erhalten. Unter Umständen kann es sich sogar lohnen, die Nachzahlung durch einen teuren Kredit zu finanzieren: Wer die Kreditzinsen von der Steuer absetzen kann, zahlt selbst bei 10 % Bankzinsen effektiv weniger als wenn das Finanzamt 6 % Nachzahlungszinsen zur Einkommensteuer, Gewerbesteuer oder Körperschaftsteuer verlangt.

Eine freiwillige Zahlung vor dem 1. April (Beginn des Zinslaufs) kann das Finanzamt genauso behandeln wie eine vom Finanzamt angeforderte Vorauszahlung. Das führt dann dazu, dass Nachzahlungszinsen gar nicht erst entstehen. Wenn das Finanzamt solch eine freiwillige Zahlung nicht als Vorauszahlung behandelt oder wenn die freiwillige Zahlung erst nach dem Beginn des Zinslaufs erfolgt, werden zwar Nachzahlungszinsen festgesetzt, aber gleich wieder erlassen. Dort wird allerdings zugunsten des Finanzamtes auf volle Monate gerundet:

Der Steuerpflichtige zahlt am 2. April 2018 die erwartete Nachzahlung auf die Einkommensteuer 2016. Das Finanzamt verschickt den entsprechenden Bescheid am 25. April 2018 (unterstellte Postlaufzeit: drei Tage plus Wochenende, also Eingang am 30. April 2018). Der Bescheid enthält einen vollen Monat Nachzahlungszinsen für den 1. bis 30. April 2018. Erlassen werden nur Zinsen für den 2. bis 30. April, abgerundet: null volle Monate. Hier hat die freiwillige Zahlung dem Steuerpflichtigen keinerlei Zinsvorteil gebracht. Wenn er nicht freiwillig gezahlt hätte, hätte er sich mit der Nachzahlung sogar noch einen weiteren Monat Zeit lassen können, bis zum 30. Mai 2018.

Nach Betriebsprüfungen

Häufig ist die freiwillige Zahlung sinnvoll, wenn eine Betriebsprüfung zwar abgeschlossen ist, aber die Akten sich in der Finanzverwaltung noch auf dem Weg von der Abteilung „Betriebsprüfung“ in die Abteilung „Steuerveranlagung“ befinden. Dieser Vorgang kann nämlich Monate dauern, während die Zinsen schon laufen. Auch in solchen Fällen muss das Finanzamt Nachzahlungszinsen für volle Monate, die zwischen freiwilliger Zahlung und Wirksamkeit der Steuerfestsetzung liegen, erlassen. Hier hat der Bundesfinanzhof in einem aktuellen Fall entschieden: Als voller Monat gilt es bereits, wenn die Zahlung im Laufe des 30. beim Finanzamt eingeht und der Steuerbescheid am 29. des Folgemonats wirksam wird. Denn nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs wird der Zahlungstag in diesem Fall schon als voller Tag gerechnet.

Erstattungszinsen

Umgekehrt ist es bei Steuererstattungen so, dass diese ab Beginn des Zinslaufs zugunsten des Steuerpflichtigen verzinst werden. Der Zinssatz beläuft sich auch hier auf 6 % jährlich, bei gleichen Rundungsregeln für Höhe und Dauer. Wenn kein Verspätungszuschlag und keine Verjährung zu befürchten sind, kann es eine günstige Geldanlage sein, eine Steuererklärung erst spät abzugeben und sich bei erwarteten Steuererstattungen in Geduld zu üben.

BFH, Urteil vom 31. Mai 2017, I R 92/15

Paragraphenreiter vergaloppiert sich

Wer einen Steuerberater beauftragt und dem Finanzamt eine Einzugsermächtigung erteilt, braucht sich um keine steuerliche Frist mehr selbst zu kümmern. Besser noch: Wenn der Steuerberater dem Finanzamt eine Vollmacht vorlegt, darf das Finanzamt den Steuerpflichtigen nicht mehr mit Post belästigen, sondern muss sich an den Steuerberater wenden. So jedenfalls der Grundsatz (§ 122 Abs. 1 Satz 4 der Abgabenordnung und Abschnitt 69 Abs. 4 des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung).

Fehler im Finanzamt

Leider passiert es immer wieder mal, dass der Sachbearbeiter im Finanzamt eine Vollmacht übersieht. Automatisiert erlassene Steuerbescheide sind meist richtig adressiert, aber fehleranfällig sind alle Vorgänge, bei denen „Handarbeit“ nötig ist. So beispielsweise Schätzungsbescheide, die das Finanzamt erlässt, wenn vom Steuerpflichtigen keine Steuererklärung eingeht. In einem Fall hat ein Finanzbeamter in Baden-Württemberg am 29. Dezember 2009 einen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2003 erlassen und an den Steuerpflichtigen übersandt. Der Empfänger hatte aber einen Steuerberater bevollmächtigt und durfte sich darauf verlassen, dass der alles erfährt und sich um alles kümmert. Er ignorierte also den Bescheid.

Schätzung völlig verkehrt

Zwei Jahre später stellte das Finanzamt unter Beteiligung des Steuerberaters fest, dass die Schätzung der Einkünfte völlig verkehrt war. Tatsächlich hatte der Steuerpflichtige im Jahr 2003 einen Verlust erlitten, der mit Einkünften der Folgejahre zu verrechnen war. Das Finanzamt erließ im September 2011 einen neuen Bescheid und stellte zumindest einen Teil der Verluste förmlich fest. Den neuen Bescheid adressierte es zutreffend an den Steuerberater.

Einspruchsverfahren

Der Steuerberater legte Einspruch gegen die „zu niedrige“ Verlustfeststellung ein. Daraufhin widmete sich ein Paragraphenreiter in der Rechtsbehelfsstelle des Finanzamts der Akte. Er wies den Einspruch zurück, ohne sich inhaltlich mit den Verlusten zu beschäftigen. Seine Argumente: Der Bescheid vom 29. Dezember 2009 sei falsch adressiert gewesen, und der Bescheid aus September 2011 sei nach Ablauf der Verjährungsfrist ergangen, also seien beide unwirksam. Die Verluste seien nicht höher und nicht niedriger festzustellen, sondern gar nicht mehr. Er hob den Verlustfeststellungsbescheid auf.

Klage erfolgreich

Das Klageverfahren war in letzter Instanz erfolgreich. Der Bescheid vom 29. Dezember 2009 war zwar falsch adressiert, hat aber den richtigen Adressaten – den Steuerberater – doch irgendwann erreicht. Das genügt, um den Eintritt der Verjährung zu verhindern. Der Bundesfinanzhof stellt fest, dass die Versuche des Finanzamtes, sich mit Überlegungen zum „Zustellwillen“ und anderen formalen Verrenkungen ins Recht zu setzen, in einem Rechtsstaat fehlplatziert sind:

„Letztlich wäre die behauptete Aufgabe des Zustellwillens auch aus rechtlichen Gründen unbeachtlich (unzulässige Rechtsausübung). Das Finanzamt hat einen nachvollziehbaren Grund für die angebliche Aufgabe des Zustellwillens nicht dargetan. Das denkbare Ziel, die Feststellung von Verlusten zu verhindern, wäre jedenfalls mit dem gesetzlichen Auftrag, die Steuern gleichmäßig festzustellen, nicht vereinbar.“

Ergebnis

Die Verjährung wirkt in beide Richtungen, zugunsten wie zulasten des Finanzamtes, und umgekehrt zugunsten wie zulasten des Steuerpflichtigen. Wenn das Finanzamt eine Maßnahme ergriffen hat, um den bevorstehenden Eintritt der Verjährung zu verhindern, ist es daran gebunden, auch wenn es später bemerkt, dass bei diesem Steuerpflichtigen nicht so viel zu holen ist wie geplant.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 11. April 2017, IX R 50/15

Gesetzliche Rente steuerpflichtig

Mensch mit Rollator auf KopfsteinpflasterSeit 2005 ist die gesetzliche Rente steuerpflichtig. Schon damals wurde gewarnt: Damit müssen Millionen Menschen eine Steuererklärung abgeben, viele von ihnen zum ersten Mal in ihrem Leben. Jahr für Jahr steigt der Besteuerungsanteil der Rente, und die Anzahl der Betroffenen wächst entsprechend.

Win-Win-Lösung: Veranlagung von Amts wegen

Das Finanzministerium Mecklenburg-Vorpommern hat erkannt, dass die Finanzämter mit der Anzahl der Steuererklärungen überfordert sind. Als Abhilfe wird in Mecklenburg-Vorpommern die Veranlagung von Amts wegen erprobt. Die Rentner, die ausschließlich Renten und Kapitalerträge beziehen, sollen keine Steuererklärung mehr abgeben. Das Finanzamt wird die Rente, die die Rentenversicherung elektronisch meldet, automatisch als Einnahme berücksichtigen und einen Steuerbescheid verschicken. Steuern auf Kapitalerträge führen ohnehin schon die Kreditinstitute ab. So können die betroffenen Bürger darauf verzichten, die Formulare für die Steuererklärung auszufüllen, und die Finanzbeamten brauchen diese Steuererklärungen nicht mehr zu bearbeiten. Eine Win-Win-Situation, so das Finanzministerium.

Vorsicht, Ausgaben absetzen!

Ausgaben berücksichtigt das Finanzamt jedoch bei diesem Verfahren nicht. Wer gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Einrichtungen mit Spenden unterstützt oder wer Aufwendungen für Handwerker oder haushaltsnahe Dienstleistungen hat, kann das in einer Steuererklärung steuerlich geltend machen. Häufig sind auch außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen, wenn die Krankenversicherung nicht alle Krankheitskosten übernimmt oder eine Behinderung sich steuerlich auswirkt. Deswegen lohnt es sich für die Mehrzahl der Rentner, weiterhin Belege zu sammeln und beim Finanzamt einzureichen. Nach Angaben des Landesfinanzministeriums kommen bei 58 Prozent der Betroffenen mehr als 100 Euro zusammen, die bei der Veranlagung von Amts wegen unter den Tisch fallen würden.

Weiterhin Steuererklärungspflicht beim Zusammentreffen verschiedener Einkünfte

Das neue Verfahren eignet sich nur für Steuerpflichtige, die neben Renten keine Einkünfte beziehen, die der tariflichen Einkommensteuer unterliegen. Unschädlich sind Kapitalerträge und pauschal besteuerte geringfügige Beschäftigungen (Minijobs). Wenn allerdings beispielsweise Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung oder Einkünfte aus einer gewerblichen Beteiligung erzielt werden, muss eine vollständige Steuererklärung angefertigt werden.

Fazit

Bei dem Modellversuch des Finanzministeriums Mecklenburg-Vorpommern macht sich die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung bemerkbar. Ohne Zutun des Bürgers können die Finanzämter Steuerbescheide erlassen, die zumindest in den wesentlichen Punkten richtig sind. Und das Finanzministerium geht auch offen mit den Schwächen um, die das System (noch) hat, insbesondere der fehlenden Berücksichtigung von Ausgaben. Für viele Betroffene dürfte die Abwägung trotz dieser Schwächen dahin ausfallen, dass das lästige Sammeln von Belegen ein Ende haben kann.

Amtliche Informationen: → http://www.steuerportal-mv.de/Meldungen/Amtsveranlagungsverfahren-für-Rentnerinnen-und-Rentner/

Fehler durch veraltete Gesetze

Brieföffner mit Kuvert und Hand
Öffnen eines Briefes“ von Frank C. Müller on Wikimedia Commons steht unter der Lizenz CC-BY-SA 2.5

Eine GmbH wurde im Jahr 2011 umstrukturiert. Nach Aufstellung des Jahresabschlusses gab der Steuerberater eine Steuererklärung für dieses Jahr ab. Verluste aus den Vorjahren verrechnete er wegen der Umstrukturierung nur zu einem Teil mit dem Gewinn des Jahres 2011, nicht vollständig. Das Finanzamt folgte der Steuererklärung, unterwarf den Gewinn der Körperschaftsteuer und verschickte den Steuerbescheid am 28. Dezember 2012 an den Steuerberater.

Fehler: Gesetzesfassung 2008 angewandt

Der Steuerbescheid wäre richtig gewesen, wenn die Umstrukturierung schon 2008 erfolgt wäre. Seit 2009 gilt aber: Steuerliche Verlustvorträge überstehen eine Umstrukturierung jedenfalls dann, wenn – wie hier – stille Reserven in der GmbH schlummern (§ 8c Abs. 1 Satz 6 KStG). Der Gewinn des Jahres 2011 hätte in voller Höhe mit Verlusten der Vorjahre verrechnet werden dürfen.

Einspruch verspätet

Dieser Fehler fiel erst ein Jahr später auf. Im Januar 2014 beantragte der Steuerberater, den Steuerbescheid zu ändern. Für einen Einspruch war es allerdings schon zu spät. Dieser hätte innerhalb eines Monats beim Finanzamt eingehen müssen.

Bescheid nichtig?

Die GmbH berief sich im anschließenden Klageverfahren darauf, dass der Bescheid so grob fehlerhaft sei, dass er von vornherein keine Rechtswirkung hätte entfalten können (Nichtigkeit). Ein Steuerbescheid ist gemäß § 125 der Abgabenordnung nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Beispielhaft nennt das Gesetz einen Steuerbescheid, der „die erlassende Finanzbehörde nicht erkennen lässt“. So hat etwa die Finanzverwaltung in Bremen nach der Zusammenlegung der Finanzämter Bremen-West und Bremen-Ost im Februar 2013 versehentlich Schreiben mit dem Briefkopf „Finanzamt Bremen-Muster“ verschickt.

Inhaltliche Fehler führen hingegen nur in besonders krassen Ausnahmefällen zur Nichtigkeit. Anerkannt ist, dass ein Steuerbescheid nichtig ist, wenn sein Inhalt „objektiv willkürlich“ ist, also „unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht.“ Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine hoheitliche Entscheidung jedoch nicht willkürlich. Willkür liegt vielmehr erst dann vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt, der Inhalt einer Norm in krasser Weise missverstanden oder sonst in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewendet wird (vgl. Bundesverfassungsgericht, BVerfGE 89, S. 1, 13 f.; BVerfGE 96, S. 189, 203).

Hier: „Nur“ ein struktureller Rechtsanwendungsfehler

Das Finanzamt entschuldigte sich für die falsche Rechtsanwendung mit dem Hinweis, dass der zuständigen Sachbearbeiterin nur eine Gesetzessammlung mit der für den Veranlagungszeitraum 2008 anzuwendenden Fassung des Körperschaftsteuergesetzes zur Verfügung gestanden habe. Das hält der Bundesfinanzhof für einen Rechtsanwendungsfehler, der einen Steuerbescheid zwar fehlerhaft macht, aber nicht nichtig. Dagegen hätte rechtzeitig Einspruch eingelegt werden müssen.

Offene Frage: Welche Gesetzessammlung nutzt der Steuerberater?

An der Entscheidung verwundert, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass der fehlerhafte Steuerbescheid erlassen wurde. Offenbar hat nicht nur das Finanzamt, sondern auch der Steuerberater bei der Vorbereitung der Steuererklärung übersehen, dass die seit 2009 geltende Neuregelung im Körperschaftsteuergesetz eine geringere Steuerlast für die GmbH begründet.

BFH, Beschluss vom 31. Mai 2017, I B 102/16