Eine GmbH wurde im Jahr 2011 umstrukturiert. Nach Aufstellung des Jahresabschlusses gab der Steuerberater eine Steuererklärung für dieses Jahr ab. Verluste aus den Vorjahren verrechnete er wegen der Umstrukturierung nur zu einem Teil mit dem Gewinn des Jahres 2011, nicht vollständig. Das Finanzamt folgte der Steuererklärung, unterwarf den Gewinn der Körperschaftsteuer und verschickte den Steuerbescheid am 28. Dezember 2012 an den Steuerberater.
Fehler: Gesetzesfassung 2008 angewandt
Der Steuerbescheid wäre richtig gewesen, wenn die Umstrukturierung schon 2008 erfolgt wäre. Seit 2009 gilt aber: Steuerliche Verlustvorträge überstehen eine Umstrukturierung jedenfalls dann, wenn – wie hier – stille Reserven in der GmbH schlummern (§ 8c Abs. 1 Satz 6 KStG). Der Gewinn des Jahres 2011 hätte in voller Höhe mit Verlusten der Vorjahre verrechnet werden dürfen.
Einspruch verspätet
Dieser Fehler fiel erst ein Jahr später auf. Im Januar 2014 beantragte der Steuerberater, den Steuerbescheid zu ändern. Für einen Einspruch war es allerdings schon zu spät. Dieser hätte innerhalb eines Monats beim Finanzamt eingehen müssen.
Bescheid nichtig?
Die GmbH berief sich im anschließenden Klageverfahren darauf, dass der Bescheid so grob fehlerhaft sei, dass er von vornherein keine Rechtswirkung hätte entfalten können (Nichtigkeit). Ein Steuerbescheid ist gemäß § 125 der Abgabenordnung nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Beispielhaft nennt das Gesetz einen Steuerbescheid, der „die erlassende Finanzbehörde nicht erkennen lässt“. So hat etwa die Finanzverwaltung in Bremen nach der Zusammenlegung der Finanzämter Bremen-West und Bremen-Ost im Februar 2013 versehentlich Schreiben mit dem Briefkopf „Finanzamt Bremen-Muster“ verschickt.
Inhaltliche Fehler führen hingegen nur in besonders krassen Ausnahmefällen zur Nichtigkeit. Anerkannt ist, dass ein Steuerbescheid nichtig ist, wenn sein Inhalt „objektiv willkürlich“ ist, also „unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht.“ Fehlerhafte Rechtsanwendung allein macht eine hoheitliche Entscheidung jedoch nicht willkürlich. Willkür liegt vielmehr erst dann vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt, der Inhalt einer Norm in krasser Weise missverstanden oder sonst in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewendet wird (vgl. Bundesverfassungsgericht, BVerfGE 89, S. 1, 13 f.; BVerfGE 96, S. 189, 203).
Hier: „Nur“ ein struktureller Rechtsanwendungsfehler
Das Finanzamt entschuldigte sich für die falsche Rechtsanwendung mit dem Hinweis, dass der zuständigen Sachbearbeiterin nur eine Gesetzessammlung mit der für den Veranlagungszeitraum 2008 anzuwendenden Fassung des Körperschaftsteuergesetzes zur Verfügung gestanden habe. Das hält der Bundesfinanzhof für einen Rechtsanwendungsfehler, der einen Steuerbescheid zwar fehlerhaft macht, aber nicht nichtig. Dagegen hätte rechtzeitig Einspruch eingelegt werden müssen.
Offene Frage: Welche Gesetzessammlung nutzt der Steuerberater?
An der Entscheidung verwundert, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass der fehlerhafte Steuerbescheid erlassen wurde. Offenbar hat nicht nur das Finanzamt, sondern auch der Steuerberater bei der Vorbereitung der Steuererklärung übersehen, dass die seit 2009 geltende Neuregelung im Körperschaftsteuergesetz eine geringere Steuerlast für die GmbH begründet.